Detlef Müller-Böling, das CHE und die Wegbereiter der Hochschulreform in Deutschland – Stiftungshochschule als Kernstück der Reform in Niedersachsen

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Detlef Müller-Böling wird 60 Jahre alt. Dazu möchte ich ihm ganz herzlich gratulieren und meine besten Wünsche übermitteln. Detlef Müller-Böling ist ein Innovationstreiber und hat bei den Hochschulreformen in den letzten 15 Jahren eine Schlüsselrolle gespielt. Maßgebliche Reformimpulse kamen vom CHE. Er hat nicht nur Anstöße gegeben, sondern mit seiner kleinen, aber sachverständigen Denkfabrik Reformprozesse auch klug begleitet. Ohne sein beharrliches Wirken wäre heute in Deutschland der enorme Stellenwert von Forschung und Lehre für die Zukunft unserer Gesellschaft, die Notwendigkeit einer wettbewerblichen, autonomen und effizienten Gestaltung des Hochschulwesens und das Streben der Hochschulen nach Qualität und Exzellenz keineswegs selbstverständlich.

Thomas OppermannThomas Opperman
Mitglied des Bundestages

Als mich der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder nach der Landtagswahl im März 1998 zum Minister für Wissenschaft und Kultur berief, war Detlef Müller-Böling schon da. Da ich mich im Landtag acht Jahre lang darauf vorbereitet hatte, einmal das Amt des Justizministers zu übernehmen, war ich mit Hochschulpolitik nicht vertraut. Ich begann sofort mich einzulesen und mir in zahllosen Gesprächen einen Überblick zu verschaffen. Dabei stieß ich ganz schnell auf Detlef Müller-Böling. Er war Vorsitzender eines hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirates, der die Einführung von Globalhaushalten an der Fachhochschule Osnabrück und den Universitäten Oldenburg und Clausthal-Zellerfeld begleitete. Meine Vorgängerin Helga Schuchardt hatte diese drei Hochschulen 1995 modellhaft als Landesbetriebe mit Globalbudgets ausgestaltet. Das war ein wichtiger Schritt in der Emanzipation der Hochschulen von staatlicher Gängelung und Bevormundung.

Detlef Müller-Böling und der Beirat hatten der kameralistischen Detailsteuerung den Kampf angesagt. Aber dabei beließen sie es nicht. Der Beirat nutzte seine Stellung und machte umfassende Empfehlungen u.a. für die Einführung von Hochschulräten, für ein neues Verfahren der staatlichen Mittelvergabe und für die Reform der Willensbildungs- und Entscheidungsstrukturen.

Als der Beirat im Herbst 1999 ein großes Abschlusssymposium in Oldenburg veranstaltete, um die Ergebnisse zu präsentieren, rechnete ich mit einer Routineveranstaltung, denn den schriftlichen Bericht des Beirates hatte ich ja bereits zur Kenntnis genommen. Mit den Globalhaushalten lagen wir weit vor den anderen Bundesländern. Meine Aufgabe war es, sie jetzt in eine umfassende Hochschulreform einzubetten. Doch Detlef Müller-Böling nutzte das Symposium nicht, um dem Auftraggeber artig und affirmativ die Ergebnisse zu präsentieren, er nutzte die Gelegenheit für eine Attacke. Die schleppende Umsetzung bei der leistungsorientierten Mittelvergabe und die Versuche des Finanzministers, auf den Globalhaushalt Einfluss zu bekommen, geißelte er trotz aller reformfreundlichen Tendenzen in Niedersachsen als gefährliche „Rezentralisierung“. Mit den Angriffen drückte er der Veranstaltung den Stempel auf und wusste ganz sicher, dass er sich damit keine Freunde macht.
Aber das ist seine Stärke: Noch mehr als jedem Auftraggeber ist er der Sache verpflichtet. Mit einem weniger ehrgeizigen Minister hätte er es sich damit sicher auf lange Zeit verdorben. Bei mir indessen verrauchte der Ärger schnell. Wer eine gute und dauerhafte Hochschulreform machen will, muss sich auch scharfen Kritikern stellen. Das neue Hochschulgesetz, das 2002 in Niedersachsen verabschiedet wurde, ist diesen Ansprüchen gerecht geworden. Es stärkt die Hochschulleitungen, verschlankt die Verfahren, ermöglicht Stiftungshochschulen und setzt auf Eigenverantwortung. Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft hat es in einer umfangreichen Untersuchung als das beste Hochschulgesetz in Deutschland ausgezeichnet.

Die Stiftungshochschule war das Kernstück der Reform. Sie basiert auf folgendem Grundgedanken: Die Hochschulen in Deutschland sind fixiert auf den armen Staat und ignorieren die ideell und materiell reiche Gesellschaft. Um Sie aus ihrer Staatsfixierung zu lösen ist es nötig, ihre Autonomie auch durch eine eigenständige Rechtsform abzusichern.
Nach sorgfältiger Prüfung entschieden wir uns, den Hochschulen die Möglichkeit zu geben, in die Rechtsform einer Stiftung des öffentlichen Rechts zu wechseln. Fünf Hochschulen machten davon Gebrauch, sich auf diese Weise organisatorisch vom Staat zu trennen. Auch die traditionsreiche Universität Göttingen entschied sich nach sorgfältiger Diskussion für die Stiftung. Das war keine einfache Entscheidung, denn es war viel Verantwortung damit verbunden. Die Stiftung wurde Dienstherr der Arbeiter, Angestellten und Beamten, sie bekam als Grundstock ein Immobilienvermögen im Wert von rund 1 Milliarde Euro übertragen, sie darf im Rahmen des Werterhaltungsgebotes mit diesem Vermögen eigenständig wirtschaften, sie darf Professoren ohne staatliche Mitwirkung berufen, sie sollte durch die Gewinnung herausragender Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur für den Stiftungsrat dazu beitragen, dass die Hochschule stärker in der Gesellschaft verankert wird.

Das Land Niedersachsen hat in der Stiftungsuniversität nur noch einen Vertreter im Stiftungsrat und ist im Übrigen durch Ziel- und Leistungsvereinbarungen, in der auch die Finanzierung der Hochschule geregelt wird, mit ihr verbunden. Am ersten Januar 2003 gingen die Stiftungshochschulen an den Start. Es herrschte eine große Aufbruchstimmung. Zwar verlor die SPD einen Monat später die Wahl und ich mein Amt, aber die Stiftungen waren irreversibel auf den Weg gebracht. Das Konzept war zu überzeugend, als dass die neue Regierung daran dachte, es wesentlich zu verändern. Die Autonomie der Stiftung wird überall mit Erfolg praktiziert. Der Universität Göttingen ist es gelungen, inzwischen auch die erste Zustiftung in Millionenhöhe zu realisieren. Neben Frankfurt an der Oder gibt es in Frankfurt am Main eine Stiftungsuniversität. Und Göttingen hat sich jetzt auch als „Eliteuni“ in der Exzellenzinitiative durchgesetzt. Stiftung und Exzellenzförderung tragen dazu bei, dass eine hohe Identifizierung der Mitglieder mit ihrer Universität entsteht. Dort, wo früher Anonymität und Gleichgültigkeit herrschte, ist die neue Identifikation eine produktive Kraft.

Dass solche Reformen möglich wurden, lag natürlich in erster Linie daran, dass die Zeit dafür reif geworden war. Die deutschen Hochschulen waren überbürokratisiert und unterfinanziert. Letzteres sind sie leider immer noch. Daran haben Studiengebühren und Exzellenzinitiative nichts geändert. Aber die Entbürokratisierung und Entstaatlichung der Hochschulen hat gute Fortschritte gemacht. Diese Entwicklung ist vor allem deshalb möglich geworden, weil es kritische und kreative Impulsgeber außerhalb der Politik gab. Ende der 90er Jahre und darüber hinaus waren dies in erster Linie Detlef Müller-Böling vom CHE, Wilhelm Krull von der Volkswagen-Stiftung und Manfred Erhardt vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Sie haben das Reformklima in der deutschen Hochschulpolitik gefördert und begünstigt. Wer in der Hochschulpolitik wirklich etwas bewegen wollte, hatte in ihnen engagierte Partner. Dem CHE ist zu wünschen, dass es diese Rolle auch dann beibehalten kann, wenn es nicht mehr von Detlef Müller-Böling geleitet wird.

Thomas Oppermann

Im Jahr 2004 erhielt Thomas Oppermann einen CHEmpion von Detlef Müller-Böling in der Kategorie Minister.

2004_04_29 Oppermann CHEmpion

Mitschnitt aus dem CHE-Symposium „Weiter entfesseln – den Umbruch gestalten“ im April 2004 aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des CHE

 

 

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