Das Ende der Suppentellerperspektive – HochschulrätInnen und ihre Folgen

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Prof. Dr. Marion SchickMarion Schick
Präsidentin der Hochschule München

Auch dafür hat Detlef Müller-Böling gekämpft, und auch das hat er erreicht: den deutschen Hochschulen schaut endlich jemand über die Schulter bei ihrem Tun, der von keiner der folgenden Eigenschaften beschwert ist:

Er oder sie vertritt ausschließlich Eigeninteressen als LehrstuhlinhaberIn, MitabeitervertreterIn oder sonstiger Gruppenangehöriger, er oder sie kennt keine andere Organisation außer der, die er oder sie gerade bewohnt, er oder sie empfindet höchste Lustgefühle bei stundenlangen Gremiensitzungen, bei denen Konsenserreichung für Kommataverschiebungen in Protokollen als Erfolge verzeichnet werden, er oder sie hält strategisches Vorgehen für grundsätzlich anti-basisdemokratisch und damit für Teufelszeug und er oder sie ist durch Ausübung eines quasi-imperativen Mandats vom Einsatz des gesunden Menschen- oder Managementverstandes abgeschnitten.

So oder ähnlich könnte es vor der Einführung von Hochschulräten in den Gremien der deutschen Hochschulen zugegangen sein, viele erinnern sich noch daran oder haben in ihren aktuellen Ländergesetzen noch Reste davon, die ihnen täglich Erlebnisse mit den oben beschriebenen RollenträgerInnen verschaffen.

Klar ist, dass die deregulierte Hochschule nur mit einem „board“ funktionieren kann, das die Einsamkeit von Präsident und Kanzler in der Wahrnehmung der Gesamtperspektive – so Müller-Böling – beendet. Die Senate der Hochschulen, denen diese Aufgabe eigentlich immer zugedacht war, basierend auf der -naiven? – Vermutung, das Zusammensetzen von Einzelinteressenträgern aus den Fakultäten in einem Sitzungsraum würde automatisch eine Wandlung hin zu Interessensträgern der Hochschule verursachen – diese Senate haben bei der Aufgabe der Achtung der Gesamtperspektive kläglich versagt.

Die Strafe folgte auf dem Fuße: Müller-Bölings Forderung nach der Einführung von Hochschulräten, mantraartig vorgetragen und Kernstück der deregulierten Hochschule, wurde Realität. An nahezu allen Hochschulen Deutschlands agieren sie heute, mehr oder wenig lange, mehr oder wenig profil- und stilbildend für die jeweilige Hochschule.

Und natürlich – wer hätte es auch anders erwartet? – sind sie nicht die Überfliegergremien, die den externen Sachverstand frei von jeglichen Eigeninteressen und außerhalb des Macht- und Ränkespiels der Hochschule in die aufnahmebereiten Hochschulen hineintragen. Hochschulräte als Institution und HochschulrätInnen als Menschen sind Bestandteil des hoch komplexen Macht- und Beziehungsgefüges der Hochschule und bringen sich als solches ins Spiel, wenn sie nachhaltigen Einfluss ausüben möchten. Sie werden auch ins Spiel gebracht, von cleveren PräsidentInnen oder Senatsvorsitzenden.

Wie auch immer: sie stellen eine neue Einflussgröße im eingeübten Spiel der Kräfte in der Leitung einer Hochschule dar, und das ist per se ein Erfolg. Als großer Bruder des Präsidiums werden sie wohl meist gesehen und verstehen sich vielleicht auch selbst so, was ja unbedingt Sinn macht. Denn wenn nach wie vor die Präsidien in den Hochschulen einsam auf weiter Flur in der Wahrnehmung der Gesamtperspektive und -Verantwortung sind, dann wäre ein Hochschulrat schlecht beraten, eben dieses Präsidium zu destabilisieren. Unterstützung ist angesagt, freundliche Hinweise für Optimierungen, coaching bei Problemlagen – aber sicher in der Regel nicht eine stete fundamentale Auseinandersetzung mit dem Vorgehen des Präsidiums.

Hochschulrat und Präsidium müssen also eine enge Achse bilden, weil sonst die Botschaft in die Hochschule eindeutig wäre: wenn die beiden sich schon nicht auf gemeinsame Ziele und Vorgehensweisen einigen können, dann Feuer frei! für eine Diskussion „jeder gegen jeden“ in der Hochschule. Ein Hochschulrat kann also nur so gut sein wie das Präsidium, mit dem er zusammenarbeitet – so die daraus abgeleitete, gewagte These. Nur gut, dass in der Regel die Hochschulräte nun bei der Wahl der Präsidien eingebunden oder alleine zuständig sind. So müssen sie hinterher eben die Suppe auslöffeln, die sie sich unter Umständen durch die Wahl des falschen Präsidenten / der falschen Präsidentin eingebrockt haben.

Wenn diese Achse aber funktioniert und tatsächlich externer und interner Sachverstand eine Symbiose eingehen, die zielorientiertes strategisches Vorgehen für eine Hochschule zur Folge hat, basierend auf klaren Analysen der Wettbewerbssituation, unter Einbeziehung der Fakultäten und Tragen der gemeinsamen Verantwortung, dann ist der Hochschulrat eine segensreiche Einrichtung.

Alleine dass es ihn gibt, ist oftmals schon der entscheidende systemverändernde Impuls. Da mag man einige Augen zudrücken, was die Kompetenzen oder Auswahlkriterien der HochschulrätInnen angeht. Die CHE-eigene Untersuchung dazu produzierte Zahlen, die Entwicklungspotenzial beinhalten für die Arbeit des Hochschulrates und die Kompetenz der Mitglieder. Auch wenn die Einschätzung weit überwiegend positiv ist – richtige Spitzenwerte werden nicht erzielt. Managementfähigkeiten z.B. waren nur für 24 % der befragten Hochschulen ein sehr wichtiges Kriterium bei der Besetzung des Hochschulrates, während die Vernetzung mit regionalen oder überregionalen Unternehmen mit über 40 % bei der Gewichtung der sehr wichtigen Kriterien eindeutig an der Spitze steht.

Firmenrepräsentanz geht also zum Teil über tatsächlich geforderte und gelebte Qualifikationen der Mitglieder. Dies bildet eine der Funktionen ab, die die neuen Hochschulräte eben auch von Anfang an zugeschrieben bekommen haben: Lobbyisten für die Hochschule zu sein im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld. Wie sich diese – ob nun formal festgehaltene oder unterschwellig transportierte – Forderung nach Lobbying für die Hochschule mit der eigentlich intendierten Kontroll- und Aufsichtsfunktion verträgt, ist eine offene Frage.

Vor allem für die HochschulrätInnen ist sie nicht einfach zu beantworten. Wie stark sollen sie sich in die Interna der Hochschule hineinbegeben? Woher erhalten sie wirklich objektive Information über die Situation an der Hochschule? Wieweit ist die Hochschule wirklich an einer sachorientierten Arbeit interessiert oder wieweit soll man als Hochschulrat/rätin einfach durch seinen Namen oder seine Organisationsherkunft Glanz für die Hochschule produzieren?

Offene Fragen gibt’s genug. Sie sind jedoch kein Grund, die Institution des Hochschulrates in Frage zu stellen. Ganz im Gegenteil. Wie immer die Fragen der Wahrnehmung der Rolle und der Einbindung in das Interessensgefüge der Hochschule beantwortet werden – und dies wird je nach Hochschule unterschiedlich sein – , so ist es doch in der Regel die Existenz des Hochschulrates, die diese Fragen auslöst. Es sind die Persönlichkeiten, die sich in solche Räte wählen lassen, obwohl sie eigentlich keine Zeit dafür haben, sich aber doch für die Weiterentwicklung „ihrer“ Hochschule engagieren wollen. Es ist das Eingeständnis, dass natürlich auch eine Hochschule trotz des „heiligen“ Paradigmas der Selbstverwaltung externe Perspektiven braucht, mit der sie sich auseinandersetzen muss – der Bildungsmarkt zeigt es bereits jeden Tag überdeutlich.

Die Hochschulräte sind da, und das ist gut so. Machen wir was draus.

Vielen Dank, Detlef Müller-Böling!

Marion Schick

Die Hochschule München wurde „best practice-Hochschule 2002“

2002 Marion Schick bestpractice_fh muenchen

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