Hochschulen im Wettbewerb – Hochschulen der Zukunft

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Dr. Josef LangeJosef Lange
Staatssekretär im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur

Hochschulpolitik wird nicht nach theoretischen Konstrukten wie New Public Management betrieben. Vielmehr betreiben die Länder Hochschulpolitik und die Förderung von Hochschulen und Forschung im Sinne und im Interesse der jungen Generation des Landes und damit auch der Wissenschaft. Die Wissenschaft nutzt der Gesellschaft dann am meisten, wenn sie entsprechend ihrer eigenen Gesetzmäßigkeiten unter Einhaltung der grundgesetzlichen und ethischen Standards betrieben werden kann und betrieben wird und dann auch entsprechend handelt.

Hochschulen im Wettbewerb
Hochschulen befinden sich im Wettbewerb um Reputation, Rahmenbedingungen und Ressourcen. Wer meint, aus dem wissenschaftlichen Wettbewerb aussteigen zu können, hat übersehen oder verkennt, dass Wissenschaft, seit sie systematisch betrieben wird, sich immer im Wettbewerb befindet. In Zeiten, als Landesherren Universitäten gründeten, taten sie dies, um Wettbewerbsvorteile gegenüber den Nachbarn und Konkurrenten zu haben. Das war natürlich auch ein Wettbewerb der Universitäten um Reputation, wissenschaftliches Ansehen und damit um die besten Köpfe: die Schüler zogen den Lehrern nach.

Heute heißt Wettbewerb Wettbewerb um die wissenschaftlich besten Köpfe, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, um wissenschaftlichen Nachwuchs und auch um Studierende – auch wenn dies in Zeiten der Einführung von Studienbeiträgen in manchen Ländern und die Ablehnung derselben in anderen Ländern in Deutschland manchmal übersehen wird.

Natürlich besteht auch ein Wettbewerb um Ressourcen, selbstverständlich um Drittmittel für Forschung, auch um Drittmittel für die Lehre, insbesondere bei Studienbeiträgen und der daraus folgenden Wettbewerbsvorteile für die Qualität der Lehre und deren Verbesserung. Auch entwickelt sich ein Wettbewerb um Grundausstattung in nahezu allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland, die darin internationalen Entwicklungen seit mehr als einem Jahrzehnt folgen.

Der Wettbewerb um Drittmittel für die Forschung wurde in den letzten 20 Jahren seitens der Politik gezielt gesteigert. Es war eine bewusste politische Entscheidung des Bundes und der Länder, Anfang der 90er Jahre mit den so genannten 5×5- und 4×5-Beschlüssen für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft die Hochschulen stärker in den Wettbewerb der Forschungsmittel zu schicken. Die Politik war der Auffassung, es sei sinnvoller die Mittel für die Forschung im Wettbewerb nach Begutachtung zu vergeben, als sie nach den traditionellen Mechanismen von unbefristeten Berufungsvereinbarungen unabhängig von den in der Folge erbrachten Leistungen zu vergeben.

Auch der Pakt für Forschung und Innovation, der bis zum Jahre 2010 gilt und über dessen Verlängerung Bund und Länder verhandeln, geht davon aus, dass die Mittel für die DFG weiter wachsen, um den Wettbewerb zwischen den Hochschulen über die Landesgrenzen hinaus voranzutreiben.
Auch in der Grundausstattung durch die Länder werden zunehmend Wettbewerbselemente eingeführt. In der formelgebundenen leistungsorientierten Mittelverteilung in Niedersachsen werden in diesem Jahr 2008 – und wohl auch in den Folgejahren – 10 Prozent der laufenden Mittel, getrennt nach Universitäten, Fachhochschulen und den beiden universitätsmedizinischen Einrichtungen, verteilt.
Geschwindigkeit des Wandels – Begrenzung der Einwirkungsmöglichkeiten der Politik
Die Entwicklung in der Wissenschaft, in den Wissenschaften – und das gilt auch für die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften – verläuft so schnell, dass Gesetzgeber und Administration von der Geschwindigkeit des Wandels überfordert werden. Sie kommen mit der Anpassung der Regelungsmechanismen nicht nach, wenn man die Geschwindigkeit der wissenschaftlichen Entwicklung betrachtet.
Daraus folgt: der Staat muss sich darauf zurücknehmen, für die Hochschulen einen rechtlichen Rahmen zu beschreiben, die Finanzierung zu sichern und die Qualität über Evaluation und Akkreditierung zu gewährleisten.

Hochschulen und Politik sind gemeinsam darauf angewiesen, Qualität zu sichern in Verantwortung für die junge Generation, in Verantwortung für inzwischen 35 bis 40 Prozent eines Altersjahrgangs, die in die Hochschulen gehen. Es geht um deren Lebenszeit, die man nicht „verplempern“ darf, denn sie ist unwiederbringlich. Wenn aber die Entwicklungen in der Wissenschaft sich wie beschrieben darstellen, dann bedeutet der Rückzug des Staates mehr Autonomie, aber auch mehr Eigenverantwortung und bei staatlicher Finanzierung auch mehr Rechenschaftspflicht für die Hochschulen als Institutionen. Die Hochschulen müssen diese Rechenschaftspflicht auch tatsächlich wahrnehmen. Dass hier zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Eigenverantwortung der Hochschulen noch Differenzen bestehen, wird niemand bestreiten.

Differenzierung der Hochschulen
Zunehmender internationaler Wettbewerb der Hochschulen bei begrenzten Mitteln führt dazu, dass institutionelle und systemische Binnendifferenzierung stattfinden muss. In den Hochschulen und zwischen den Hochschulen müssen Prioritäten gesetzt werden, aber das heißt auch Posterioritäten zu setzen, Nachrangigkeiten zu bilden. Prioritäten zu setzen mit zusätzlichen Mitteln ist immer sehr einfach, Prioritäten zu setzen bei gleich bleibenden Mitteln bedeutet schwierige Entscheidungen, weil die Prioritätenbildung, die Schwerpunktbildung auf der einen Seite mit Nachrangigkeiten, d. h. Kürzungen auf der anderen Seite bezahlt werden muss.

Auch dies ist eine Herausforderung, die die Hochschulen als autonome Hochschulen für sich reklamieren. Die Aufgabenverteilung kann nicht so gestaltet werden, dass für Prioritäten und Ausbau die Hochschulen, für Posterioritäten und Rückbau das Land verantwortlich gemacht wird. Deshalb ist die Aufgabenverteilung auch eine Frage an das Zusammenwirken zwischen Hochschule und Land.
Dazu haben die Hochschulen in Niedersachsen als Hochschulen in staatlicher Verantwortung – so die Formulierung des Gesetzes auch für die Stiftungshochschulen – in einem staatlich gegründeten, staatlich organisierten und staatlich finanzierten Hochschulsystem verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen über das Niedersächsische Hochschulgesetz mit darin enthaltenen klaren Verantwortlichkeiten erhalten.

Die Hochschulen haben eine verlässliche Finanzierung, gesichert über den Zukunftsvertrag mit der Landesregierung – mit Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers Niedersächsischer Landtag – bis zum Jahre 2010 und über mehrjährige Zielvereinbarungen sowie über Studienbeiträge, die den Hochschulen ohne Beeinträchtigung der staatlichen Finanzierung zur Verbesserung der Lehre verbleiben. Der Zukunftsvertrag bedeutet für Niedersachsen, dass etwa 8 Prozent des Landeshaushalts dem Zugriff des Finanzministers auch für unterjährige Eingriffe entzogen werden. Es gibt keine zwischenzeitlichen Haushalts- oder Stellenbesetzungssperren.

Die niedersächsischen Hochschulen haben Globalhaushalte. Sie erhalten zwei Zuweisungen: die Zuweisung für die laufenden Mittel (einschließlich Personalkosten) und die Investitionsmittel. Über die interne Verteilung entscheiden die Hochschulen selbst.
Zielvereinbarungen werden auf mehrere Jahre bezogen mit Grundzügen der Entwicklungs- und Leistungsziele. In den Zielvereinbarungen wird die Zahl der Studienplätze nach Kapazitätsberechnungen festgelegt. Es werden die Einrichtung, wesentliche Veränderungen, und Schließung von Studiengängen vereinbart. Weitere Stichworte sind Schwerpunkt- und Profilbildung, Internationalisierung, Erhebung von Gebühren und Entgelten außerhalb der Studienbeiträge sowie die Höhe der laufenden Zuführungen des Landes im Rahmen des Zukunftsvertrags als Untergrenze der Finanzierung.

Hochschulen der Zukunft
Die Hochschule der Zukunft muss Strukturen für Prozesse gestalten im Wettbewerb mit dem Ziel der Qualitäts- und Leistungssteigerung. Es wird zu einer stärkeren Differenzierung zwischen den Hochschulen, auch zwischen den Universitäten kommen. Deshalb benötigen Hochschulen geeignete Strukturen für Personen, denn nicht Institutionen betreiben Wissenschaft, sondern Personen. Dafür benötigen Hochschulen strategische Planung für Innovationen und Vernetzung. Vernetzung ist auch intern erforderlich. Wenn die spannenden Entwicklungen in der Wissenschaft an den Rändern der traditionellen Disziplinen entstehen – das gilt auch für die Geistes- und Kulturwissenschaften -, dann benötigen Hochschulen intern Vernetzungen, dann kann sich nicht eine Fakultät oder ein Institut in ihre oder seine Mauern zurückziehen.
Hochschule braucht die Verknüpfung mit der Wirtschaft, denn die Beschleunigung der Wissenschaftsentwicklung, die nicht mehr in der Reihenfolge Forschung, Entwicklung, Prototyp als Pilotprodukt oder -verfahren und dann Routineproduktion oder -verfahren abläuft, ist so kondensiert, dass nicht nur in den Biowissenschaften, sondern auch in vielen anderen Bereichen die Produkte schon im Labor und Verfahren in den Hochschulen entstehen.

Hochschule der Zukunft erfordert aber auch den Verzicht auf übersteigerten Dünkel z. B. bei der Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen aus dem In- und Ausland. Der Bologna-Prozess soll bis zum Jahre 2010 abgeschlossen sein. Wenn Studierende, die im Rahmen von Austauschprogrammen in ERASMUS trotz vorheriger Absprache ihre Studien- und Prüfungsleistungen in Spanien oder im Vereinigten Königreich oder in Frankreich nicht anerkannt erhalten, dann ist dieses Verhalten von Hochschulen verantwortungslos gegenüber den jungen Leuten und gegenüber deren Lebenszeit.

Hochschulen der Zukunft benötigen mehr Interdisziplinarität auf der Grundlage solider Disziplinarität, denn sonst wird Interdisziplinarität zum Geschwätz. Ziel von Forschung und Entwicklung, aber auch von Lehre und Studium ist Problemlösungsorientierung.
Hochschulen der Zukunft zeichnen sich durch mehr Internationalität, Interkulturalität – vor allem in der Lehrerbildung – und Verantwortung für die Region aus. Damit sind Spannungsfelder beschrieben: eine Universität, die mit leistungsstarken Universitäten in den USA oder China oder Indonesien oder Indien oder Brasilien zusammenarbeitet und sich gleichzeitig um die Probleme vor Ort oder im Umkreis von 50 km kümmern muss, befindet sich in einem Spannungsfeld, das sie aushalten muss, das sie aber auch gestalten kann.

Die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologie in Lehre, Forschung und Dienstleistung ist leider nach wie vor eine Herausforderung für Hochschulen der Zukunft. E-learning zu entwickeln und Module und Plattformen gegenseitig anzuerkennen, ist in deutschen Hochschulen erforderlich, aber immer noch nicht selbstverständlich.

Hochschulen der Zukunft müssen eine stärkere „corporate identity“ entwickeln – als starke Institutionen, damit sie die Freiheit von Forschung und Lehre sichern können. Die Freiheit von Forschung und Lehre gilt sowohl individuell als auch institutionell. Notwendig sind starke Institutionen, um die individuelle Freiheit von Forschung und Lehre zu gewährleisten. Insofern müssen die Hochschulen lernende Organisationen werden.
Hochschulen der Zukunft benötigen als Fundament Autonomie und Eigenverantwortung bei Globalhaushalt und Zielvereinbarungen. Sie benötigen rechtlich und finanziell verlässliche, zukunftsoffene Rahmenbedingungen bei Verzicht auf Detailsteuerung. In Hochschulgesetzen ist weniger häufig mehr. Die Rolle der Ministerien wird sich in diesem Zusammenhang auch ändern: Ministerien müssen dazu kommen, mehr die Funktion von Coachs wahrzunehmen als durch Erlasse Hochschulen zu „regieren“.

Die Dynamik der wissenschaftlichen Entwicklung ist größer und schneller als die politische und administrative Reaktionsgeschwindigkeit für die dynamische Anpassung von Rahmenbedingungen. Wissenschaft ist „Erwartung des Unerwarteten“: sie wird betrieben von Persönlichkeiten, denen Politik, Administration und Institutionen die Freiheit für Wissenschaft und Kunst eröffnen. Freiheit bedeutet, dass diejenigen, die Wissenschaft betreiben, auch Verantwortung wahrnehmen. Das gilt auch für die Verantwortung von Institutionen. Im Spannungsfeld zwischen Individueller und institutioneller Autonomie benötigt Wissenschaft starke Institutionen, die nach innen Freiheit gewährleisten.

Josef Lange

1996_12_18 Lange Wegmarken
Josef Lange, Mü-Bö, Gerhard Konow

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