Zum Verhältnis zwischen Fachhochschulen und Universitäten

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Prof. Dr. Erhard MielenhausenErhard Mielenhausen
Präsident der Stiftung FH Osnabrück

Als die Fachhochschulen vor nunmehr rund 40 Jahren durch Beschluss der Ministerpräsidenten der Bundesländer aus der Taufe gehoben wurden, ahnte kaum jemand, welche Entwicklung dieses jüngste Kind des deutschen Hochschulsystems nehmen würde.

Vom „Durchlauferhitzer„ im zweiten Bildungsweg bis zur „Discounthochschule“ lauteten die nicht immer wohlmeinenden Kritiker, von der „Neuen Hochschule“ sprachen die Befürworter. Insbesondere das Verhältnis zu den Universitäten war von Beginn an Gegenstand von Spekulationen. Wesentlicher Ausgangspunkt war die damals einsetzende Diskussion um die Anerkennung der Abschlüsse der deutschen Ingenieurschulen und „Höheren Fachschulen“ im Kontext europäischer Bildungsabschlüsse einerseits und die aufrüttelnde Studie von Picht über die „deutsche Bildungskatastrophe“ aufgrund der im internationalen Kontext viel zu geringen Akademikerquote. Öffnung der Hochschulen und Chancengleichheit lauteten die Parolen der einen, internationale Anerkennung von Abschlüssen – insbesondere der Ingenieurschulen – der anderen Seite.

Für eine junge Institution, die zudem ihre Gründung ein gut Stück des Drucks der Straße verdankte und für die Bildungsplaner so gut wie keine konzeptionellen Vorstellungen hatten war dies ein dorniger Beginn. Entsprechend schwierig und auch unterschiedlich verlief die Entwicklung, von vielen „Auf‘s und Ab‘s“ gekennzeichnet, und die keineswegs einheitlich in den einzelnen Bundesländern verlief.

Insbesondere die Abgrenzung im Bildungsauftrag gegenüber den Universitäten führte immer wieder und bis in die jüngste Zeit zu lebhaften Auseinandersetzungen. Dabei pendelte die Diskussion zwischen Konvergenz und Abgrenzung munter hin und her.

Würde man bildungspolitische Akteure in Deutschland befragen, welche Rolle der scheidende Chef des Centrums für Hochschulentwicklung Detlef Müller-Böling in dieser Hinsicht spielte, wäre vermutlich oft zu hören gewesen: Sicherlich eine zentrale! War und ist es doch das CHE, dass seit seiner Gründung immer wieder die entscheidenden Anstöße gab, um wichtige Fragen und ungelöste Probleme deutscher und internationaler Hochschulpolitik auf die Agenda zu setzen.

Tatsächlich findet man jedoch erstaunlich wenige Äußerungen des CHE zum Thema Fachhochschule. Hieraus könnte geschlossen werden, dass das Verhältnis zwischen den beiden Hochschularten – zumindest aus der Sicht von Müller-Böling und seinem CHE – nicht zu den zentralen Themen deutscher Hochschulpolitik zu rechnen ist. Und das, obwohl sich der Wissenschaftsrat und auch die Hochschulrektorenkonferenz ständig an der Frage abarbeiten, was denn nun eigentlich aus den Fachhochschulen werden sollte. Die vom Wissenschaftsrat in den 80er Jahre geprägte Formel „andersartig aber gleichwertig“ klingt zwar gut, entpuppte sich jedoch allzu schnell als leere Worthülse. Akteure und Protagonisten der Fachhochschulen sahen sich deshalb gezwungen, Weg und Standortbestimmung selber zu suchen.

Woher rührte nun aber die Enthaltsamkeit des CHE und insbesondere seines Spiritus rector Detlef Müller-Böling bezüglich des Verhältnisses zwischen Fachhochschulen und Univrsitäten? Waren ihm die Fachhochschulen zu marginal, hat er ihre Bedeutung unterschätzt oder sie bewusst übersehen?

Wer Müller–Böling kennt weiß, dass beide Vermutungen in die Irre führen, zieht sich doch die Frage einer institutionellen Entdifferenzierung der Hochschullandschaft wie ein roter Faden durch sein Wirken. Die von ihm propagierte „Entfesselte Hochschule“ fordert geradezu die Beseitigung institutioneller Grenzen und externer Bevormundungen der Hochschulen. An die Stelle der relativ armseligen Differenzierung des Hochschulwesens in zwei institutionell durch formale Vorgaben getrennte Cluster soll nach seiner Auffassung ein durch Unterschiede gekennzeichnetes, in Verbindung mit Profilbildung und Wettbewerbsorientierung horizontal und vertikal gegliedertes Hochschulwesen treten. Die Frage des Verhältnisses zwischen Fachhochschulen und Universitäten bildet dabei letztlich nur ein Randproblem auf dem Weg zu einer grundlegenden Umstrukturierung der Hochschullandschaft. Im Zeichen von Globalisierung und wissenschaftsbasierter Gesellschaft bedarf es vielmehr einer grundlegenden Befreiung der Hochschulen von administrativer Bevormundung und institutioneller Fesseln. An die Stelle gesetzlicher Normen soll zunehmend ein Aushandlungsprozess in Rahmen von Zielvereinbarungen treten.

Im Zuge dieser Entwicklung, die sich in den letzten Jahren auch in Deutschland beschleunigt hat und vermutlich unaufhaltsam ist, wird die Frage nach dem Verhältnis zwischen Fachhochschulen und Universitäten überlagert werden von einer erheblich ausgeprägteren Differenzierung des Hochschulwesens und deshalb vermutlich schon bald obsolet werden. Der Visionär Müller-Böling hätte dann wieder einmal das richtige Gespür für die längerfristige Entwicklung gehabt.
Einigen Bildungspolitikern scheint erst im Zuge des Bologna-Prozesses bewusst zu werden, dass die institutionelle Zweiteilung des deutschen Hochschulwesens erneut auf dem Prüfstand stehen wird, nachdem man sie mit dem Ende der Debatte um die verfehlte Entwicklung der Gesamthochschulen eigentlich als entschieden ansah.
An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, sich noch einmal kurz die verschiedenen Phasen des Nebeneinanders von Universitäten und Fachhochschulen vor Augen zu führen:
Mit dem Abkommen der Ministerpräsidenten vom 31. Oktober 1968 wurden – wie eingangs bereits erwähnt – die bestehenden Ingenieurschulen und viele Höhere Fachschulen formal dem Hochschulbereich zugeordnet. Einige Neugründungen traten hinzu. Bezeichnenderweise blieben alle Höheren Fachschulen, die überwiegend für sog. Frauenberufe qualifizierten (Erzieherinnen, „nicht-medizinische“ Berufe im Gesundheitswesen) bei der Gründung der Fachhochschulen unberücksichtigt. Erst in jüngster Zeit mehren sich die Versuche, diesen Gründungsfehler mühsam und gegen Lobbyisten verschiedener Kreise zu korrigieren.

In den kontroversen und vor allem ideologisch geführten bildungspolitischen Diskussionen der frühen 70er Jahre gerieten die Fachhochschulen und ihre konzeptionelle Entwicklung schnell ins Abseits. Sie waren deshalb weitgehend sich selbst überlassen und versuchten – ausgehend von den Traditionen der Vorgängereinrichtungen – ihren Weg selbständig zu finden. Seitens der Universitäten wurden sie bestenfalls nicht wahrgenommen.
Mit dem Hochschulrahmengesetz (HRG) vom 26. Januar 1976 änderte sich das schlagartig. Einerseits wurden die Fachhochschulen in die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau aufgenommen und damit zunehmend ausgebaut, andererseits wurde im Zuge des Leitbildes der Gesamthochschule ihre eigenständige Existenz in Frage gestellt. Für die Universitäten wurden die Fachhochschulen damit zwangsläufig sichtbarer und je nach bildungspolitischen Standort ausgegrenzt oder vereinnahmt. In den nachfolgenden Jahren bis zur Abschaffung des Leitbildes der Gesamthochschule in der 3. Novelle des HRG 1985 verschlechterte sich das Klima zwischen Fachhochschulen und Universitäten durch wechselseitige Vorurteile und Abneigungen bis hin zu einem tiefsitzenden Misstrauen zunehmend. Von Ausnahmen abgesehen, versuchte man sich vor allem in Ab- und Ausgrenzungen. Statt Durchlässigkeit wurde das Trennende und die Eigenständigkeit betont, wobei sich die Fachhochschulen dank der Akzeptanz ihrer Absolventinnen und Absolventen mit dem Diplomzusatz „FH“ auf den Arbeitsmärkten als wichtiger Teil des Hochschulwesens weiter etablieren konnten. Mit Unterstützung des Bundes gelang es ihnen – trotz deutlicher Abwehrversuche der deutschen Universitäten – mehr und mehr sich auch im internationalen Bereich Anerkennung zu verschaffen.
Mit der Bologna-Deklaration von 1999 wurde die Debatte über das Neben- bzw. Miteinander der Hochschularten schlagartig erneut belebt. Plötzlich stellten sich wieder die alten Fragen in teils neuer Formulierung: Braucht Deutschland ein eigenständiges Fachhochschulwesen? Falls ja, sollte der Bildungsauftrag von Fachhochschulen dann nicht notwendigerweise auf den Bachelorbereich beschränkt werden? Verwischen sich die Grenzen zwischen Universitäten und Fachhochschulen nicht in unzulässigerweise? Sind Fachhochschulen überhaupt zu forschungsbasierter Lehre in der Lage und können Universitäten den vom Arbeitsmarkt geforderten Praxisbezug gewährleisten? Hätte es noch eines Anstoßes bedurft, so war mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrats „Zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem“ im Jahre 2006 allgemein klar, dass eine neue Runde im Mit-, Neben- und Gegeneinander zwischen Universitäten und Fachhochschule eingeleitet werden wird.
Stehen wir also wieder da, wo wir in den siebziger Jahren bereits standen? – Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um diese Frage eindeutig zu verneinen. Anders als damals ist die heutige Diskussion eingebettet in den weltweiten Kontext. Wissenschaft und Forschung gewinnen im Zuge der technologischen Entwicklungen und der Globalisierung zunehmend an Bedeutung. Der Anteil akademisch gebildeter Menschen am jeweiligen Altersjahrgang steigt weltweit in einem früher nicht für möglich gehaltenen Ausmaß. Die Zukunft ist – insbesondere in einem rohstoffarmen Land wie Deutschland – nur mit Flexibilität und Kreativität nicht aber mit Strukturkonservatismus und institutioneller Enge zu meistern.
Die Hochschullandschaft in Deutschland verändert sich in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit. Vieles spricht dafür, dass die institutionelle Differenzierung des deutschen Hochschulsystems an Trennschärfe verlieren wird. Der Wissenschaftsrat formuliert dies in seiner zurückhaltenden Art wie folgt: „Künftig wird die funktionale Differenzierung der Studienangebote, die nach wie vor unterschiedliche Studienbedarf befriedigen müssen, auch innerhalb der einzelnen Hochschulen erfolgen und so die typenbezogene Differenzierung von Ausbildungsprofilen ganzer Hochschulen mehr und mehr überlagern“ (Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem, Köln 2006). An ihre Stelle wird auch in Deutschland eine Vielzahl von wettbewerblich ausgerichteten Hochschulen treten, die, jede für sich, ihren Platz in der Hochschullandschaft finden müssen. Einige werden sich vorrangig auf Grundlagenforschung und die hiermit zusammenhängende Lehre konzentrieren, andere stärker im Bereich der Bachelorausbildung tätig sein. Einige werden disziplinorientierter, andere mehr auf die Berufsleder ausgerichtet sein. Je nach Sachlage wird es zu Kooperationen und Durchlässigkeiten oder aber zum Wettbewerb und Abgrenzung kommen. Im Gegensatz zur bisherigen Situation sollten sich diese Unterschiede allerdings nicht aus gesetzlichen Vorgaben bzw. Verboten, sondern aus verantwortlichen Entscheidung der jeweiligen Hochschule und ihrer spezifischen Wettbewerbssituation ergeben. Institutionelle Grenzen werden dann an Bedeutung verlieren oder ganz verschwinden. „Dadurch können in längerer Frist auch neue, innovative Hochschultypen jenseits der bestehenden Einteilung in Universitäten und Fachhochschulen entstehen.“ (a.a.O, Wissenschaftsrat, Köln 2006).
Damit bestätigt sich die Prioritätensetzung von Detlef Müller-Böling auf seiner Agenda hochschulpolitischer Entwicklungen schneller als vermutet: Vorrangig für die Entwicklung der Hochschullandschaft sind nicht vordergründige Fragen nach dem Verhältnis zwischen Fachhochschulen und Universitäten, sondern inhaltliche Fragen nach Praxisrelevanz und Wissenschaftsbezug.

Folgerichtig nennt er für die „Entfesselte Hochschule“ die acht Problemfelder:
1. Von der Gelehrtenrepublik zum Dienstleistungsunternehmen,
2. Die Autonome Hochschule.
3. Die wissenschaftliche Hochschule.
4. Die wettbewerbliche Hochschule.
5. Die profilierte Hochschule.
6. Die wirtschaftliche Hochschule.
7. Die internationale Hochschule.
8. Die virtuelle Hochschule.

Um das Verhältnis zwischen Fachhochschulen und Universitäten scheint es bei diesen Problemfeldern überhaupt nicht zugehen. Dies ist aber nur oberflächlich betrachtet. Zwischen den Zeilen, zieht sich die Geschichte institutioneller Enge und Grenzen, die es zu sprengen gilt, jedoch wie ein roter Faden.

Herzlichen Dank an das CHE, herzlichen Dank an Detlef Müller-Böling.

Erhard Mielenhausen

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