Hochschulentwicklung im demografischen Wandel

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Ich reihe mich gern in die Schar der Gratulanten ein und wünsche Ihnen, lieber Herr Müller-Böling, Gesundheit und persönliches Wohlergehen, verbunden mit Erfolg, Freude an Ihren vielfältigen Tätigkeiten und dem nötigen Glück, das auch die besten Ideen brauchen, um eines Tages Früchte zu tragen. Mit diesen Wünschen möchte ich meinen Beitrag beginnen zu einem Thema, das uns beiden am Herzen liegt und dem Sie sich nicht nur als Leiter des CHE, sondern auch als Mitglied der Expertenkommission „Demografischer Wandel Sachsen“ besonders gewidmet haben.

Prof. Dr. Georg MilbradtGeorg Milbradt
Ministerpräsident des Freistaates Sachsen

Die demografische Entwicklung in Europa mit ihren vielschichtigen sozialen, kulturellen und ökonomischen Auswirkungen ist eine der großen politischen Herausforderungen unserer Zeit.

Das Bestreben, diesen Wandel zu meistern, steht im Freistaat Sachsen bereits seit mehreren Jahren im Fokus unserer strategischen Überlegungen. Nirgendwo anders in der Bundesrepublik wird dieser Wandel so schnelle und tiefgreifende Veränderungen mit sich bringen wie gerade in den neuen Ländern. Unsere Hochschulen müssen sich aber nicht nur diesen Veränderungen stellen, sondern auch einem zunehmenden globalen Wissenschaftswettbewerb. Wie unsere Hochschulen im Wettbewerb und im demografischen Wandel bestehen können, diese beiden Fragen bedürfen nach meiner Überzeugung keiner grundlegend unterschiedlichen Antwort. Für unsere Hochschulpolitik ergibt sich daher eine einheitliche Handlungsmaxime, die ich in fünf Thesen zusammenfassen möchte:

1. Das Verhältnis zwischen Staat und Hochschulen muss neu definiert werden.

Bildung ist ein öffentliches Gut. Der Staat steht auch in Zukunft in der Verantwortung, bestmögliche Rahmenbedingungen für die Teilhabe seiner Bürger an Bildung zu gewährleisten. Diese Verantwortung wahrzunehmen heißt jedoch nicht, die Hochschulen als staatliche Behörden zu behandeln.

Der Schlüssel für den Erfolg der deutschen Hochschulen wird in Zukunft mehr denn je der Grad an Autonomie sein, der ihnen gewährt wird. Wir müssen unseren Hochschulen den Spielraum zugestehen, der einer selbständigen Körperschaft zusteht. Daher bedeutet Autonomie in erster Linie wirtschaftliche Autonomie, d. h. dass die Hochschulen rasch eigenverantwortliche Entscheidungen treffen können.

War – anders als in den USA – das europäische Hochschulsystem bisher traditionell überwiegend öffentlich finanziert und staatlich (über-) reguliert, zieht sich der Staat inzwischen aus der Hochschulsteuerung zurück und konzentriert die Wissenschaftsinfrastruktur durch Fusionen und Clusterbildung.

Eine Kompetenz- und Verantwortungsverlagerung vom Staat auf die Hochschulen erfordert ein Umdenken auf beiden Seiten: Die Hochschulen müssen durch geeignete Entscheidungsstrukturen und kaufmännisches Denken und Handeln in die Lage versetzt werden, diese Freiheiten tatsächlich zu nutzen. Der Staat muss erkennen, dass über Zielvereinbarungen eine hinreichende staatliche Kontrolle dieser Freiheiten gewährleistet ist.

Die Maxime staatlichen Handelns muss daher sein, mehr Hochschulautonomie zu wagen.

2. Die Hochschulgesetzgebung muss die richtigen Weichenstellungen vornehmen.

Ein modernes Hochschulsystem braucht ein modernes Hochschulrecht, das zugleich die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Wettbewerb und einen erfolgreichen demografischen Wandel schafft.

Das sächsische Kabinett hat im Januar 2008 den Entwurf eines neuen Sächsischen Hochschulgesetzes zur Anhörung freigegeben. Die entscheidende Zielsetzung dieser Gesetzesinitiative ist die Verbesserung der Qualität, Leistungsfähigkeit und Effizienz der Hochschulen, oder kurz: die sächsischen Hochschulen für die Herausforderungen der nächsten Jahre fit zu machen.

Bei der Finanzierung, Haushaltsführung und wirtschaftlichen Betätigung der Hochschulen findet ein Paradigmenwechsel statt. Künftig erfolgt die staatliche Steuerung durch den Abschluss von Zielvereinbarungen. Sie konzentriert sich auf wichtige wissenschafts- und bildungspolitische Ziele des Freistaates, die im Rahmen von mehrjährigen Hochschulentwicklungsplänen festgeschrieben werden. Die bisher kameralistische Haushaltsführung wird durch eine globale Mittelzuweisung abgelöst. Die Hochschulen erhalten vom Staat Zuschüsse, über deren Verwendung sie im Rahmen eines Wirtschaftsplans eigenverantwortlich entscheiden.

Mit diesem Gesetzentwurf ist ein wesentlicher erster Schritt in die richtige Richtung getan. Eine noch konsequentere Hochschulautonomie, etwa beim Hochschulpersonal, ist derzeit im Freistaat Sachsen politisch nicht durchsetzbar. Die Koalitionsregierung hat sich jedoch darauf verständigt, dieses Thema nach Auswertung eines entsprechenden Modellversuchs an der Technischen Universität Dresden erneut zu diskutieren.

3. Der Staat muss eine Differenzierung der Hochschullandschaft fördern.

Die Hochschullandschaft wird sich in den nächsten Jahren zunehmend differenzieren. Die Hochschulen stehen in einem Wettbewerb untereinander um Köpfe, Geld und Renommee. Dieser Wettbewerb entscheidet darüber, wohin die guten Hochschullehrer gehen, wer die besten Studenten anzieht und wo innovative Unternehmen die besten Partner in der Forschung und die besten Talentschmieden für ihren Nachwuchs finden. Hierauf müssen wir uns einstellen und die Rahmenbedingungen schaffen, damit die Hochschulen national und international wettbewerbsfähig bleiben oder werden. Die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft hängt von der Innovationsfähigkeit unserer Bildungsstätten ab.

Wir müssen eine unternehmerische Kultur an den Hochschulen fordern und fördern. Der inzwischen emeritierte amerikanische Hochschulforscher Burton Clark hat bereits 1998 beschrieben, was seiner Meinung nach eine unternehmerische Universität ausmacht: ein starkes Management, Geldquellen jenseits der öffentlichen Haushalte, in Forschung und Lehre bewegliche Fakultäten, ein Umfeld wissenschaftsnaher Einrichtungen sowie auf allen Ebenen ein unternehmerisches Selbstverständnis.

Unsere Hochschulen brauchen den Mut zur Profilbildung. Mit der sächsischen Landesexzellenzinitiative werden wir solchen Mut belohnen und zugleich zeigen, dass ergebnisorientierte Steuerung, Verantwortlichkeit und Wettbewerb den bisherigen Hochschulstrukturen überlegen sind.

Zur Sicherung der Lissabon- und Barcelona-Ziele muss der Wissenstransfer zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen verstärkt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und neue und bessere Arbeitsplätze zu realisieren. Ziel muss es sein, nicht nur Netzwerke zwischen sächsischen Hochschulen und/oder Wissenschaftseinrichtungen auszubauen, sondern diese auch über Landesgrenzen hinaus zu knüpfen. Die Bildung von Netzwerken und Exzellenzclustern im Wissenschafts- und Forschungsbereich in Ost- und Westeuropa wird eine Aufgabe der Zukunft sein.

4. Die vorhandenen Bildungspotenziale müssen konsequent ausgeschöpft werden.

Die Teilhabe an Bildung darf keine Frage der sozialen Herkunft sein. Diese sozial- und bildungspolitische Zielsetzung gilt auch und gerade für eine demografieorientierte Hochschulpolitik.

Auch wenn der Anteil der Ausländer an der Bevölkerung in Sachsen weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt, muss es unser Ziel sein, Zuwanderer stärker in die höhere Bildung zu integrieren. Das Gleiche gilt für Kinder aus sozial schwächeren Familien. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein: Bessere individuelle Förderung bedeutet, dass sich das Leistungsniveau der Schülerschaft stärker differenzieren wird, es tritt also ein Ziehharmonika-Effekt ein.

Die sog. Übergangsquote, also der Anteil der studienberechtigten Schulabgänger eines Jahrgangs, die tatsächlich ein Studium aufnehmen, liegt in Sachsen noch immer unter dem Bundesdurchschnitt, wie übrigens in allen neuen Ländern. Hier werden wir gezielte Werbemaßnahmen ergreifen, um den Abiturienten die Vorteile eines Hochschulstudiums in Sachsen deutlich zu machen, auch um den Wanderungssaldo auszugleichen.

Außerdem gilt es, angesichts eines schrumpfenden Erwerbspersonenpotenzials die wissenschaftlichen Karrieren von Frauen gezielter zu fördern, um diese stärker in den Innovationsprozess der sächsischen Wirtschaft einzubinden. Dynamische, innovative Unternehmen setzen schon heute auf weibliche Fach- und Führungskräfte. Bildungspolitik und Hochschulen können diesen Trend gezielt unterstützen.

5. Das Bildungssystem muss ganzheitlich ausgerichtet werden.

Eine demografieorientierte Bildungspolitik muss die Bildungspotenziale der Vorschulkinder, Schüler und Jugendlichen bestmöglich und differenziert entwickeln. Eine zusammenhanglose Betrachtung der Schul-, Berufs- und Hochschulbildung wird dem nicht gerecht. Das deutsche Bildungssystem muss daher durch ein ganzheitliches, abgestimmtes und aufeinander aufbauendes Bildungskonzept vom Kindergarten über die Schulen und Hochschulen bis hin zur Erwachsenenbildung reformiert werden. Ein erster Ansatz in diese Richtung ist der Sächsische Bildungsplan für Kinder von 3 bis 10 Jahren.

Vor dem Hintergrund des demografisch bedingten Fachkräftemangels ist die besondere Förderung postgradualer Hochschulbildung erforderlich, um die Innovationskraft der sächsischen Wirtschaft zu erhalten und so das Arbeitskräftepotenzial zu sichern sowie neue und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Die Bildungspolitik – bisher allein auf die Schulen beschränkt – muss daher auch die berufliche und allgemeine Weiterbildung umfassen. Die Entwicklung von Kreativität und Innovation ist in allen Bildungseinrichtungen als Schlüsselqualifikation zu fördern. Hier ist allerdings nicht allein die Politik in der Pflicht. Die Unternehmen sind aufgerufen, ein vorausschauendes Personalmanagement zu entwickeln, ähnlich der Lebenszyklusbetrachtung beim Produktmanagement. Nur wenn Bildungspolitik und Personalwirtschaft ganzheitlich an die Herausforderung herangehen, lässt sich dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Diese Betrachtung geht weit über das eigentliche Anliegen des CHE hinaus. Aber Ihre Beiträge, lieber Herr Müller-Böling, bei den Beratungen der Expertenkommission haben gezeigt: Auch als Hochschulexperte haben Sie das „Drumherum“ im Blick. Dass Ihnen dies auch weiterhin gelingt, wünscht Ihnen mit herzlichen Grüßen aus Sachsen Ihr

Georg Milbradt

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